Dissertation deutsch
Stand: 27.10.2004

Ein neues Editionskonzept für die Schriften Notkers des Deutschen anhand von De interpretatione 

Die ersten nachweisbaren Aristoteles-Kommentare sind nicht etwa in lateinischer, sondern in althochdeutscher Sprache verfasst: Notkers des Deutschen Bearbeitungen von De interpretatione und der Kategorien (um das Jahr 1000). Obwohl diese von interdisziplinärem Interesse sind, wurden sie bisher kaum außerhalb der Sprachgeschichtsforschung wahrgenommen. Die wissenschaftliche Editorik beschränkte sich darauf, möglichst handschriftengetreu Sprachmaterial bereitzustellen; dabei wurden Aspekte der Textualität ebenso wie inhaltlich-sachliche Fragen vernachlässigt.

Unter Einbezug der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte von Peri hermeneias / De interpretatione wurde ein Editionsmodell entwickelt, das einige Desiderate erfüllt. Zur Erprobung und Demonstration des Modells wurden die ersten 15 Kapitel (nach Notkers Einteilung in 93 Kapitel; entspricht den Kapiteln 1-4 in der heute gebräuchlichen Einteilung) von De interpretatione ediert. Die Textstruktur wird mit typographischen Mitteln visualisiert. Eine synoptisch angelegte Übersetzung beider Textsprachen (Althochdeutsch und Latein) dient der Vermittlung über die Disziplinengrenzen hinaus. Dasselbe gilt für den Kommentar, der sich auf sachliche (philosophische), philologisch-textkritische und sprachliche Fragen erstreckt.

Das neue Editionskonzept ist dazu geeignet, sowohl den Wissensstand Notkers und seiner Klosterschule als auch die Methodik der Wissensvermittlung zu erhellen, da die Charakteristik der Notkerschen Textgestaltung stark mit dem - mündlichen - Unterricht korreliert.

Postdoc-Projekt
(Stand: 28.05.2004)

Edieren und Kodieren. Technische Grundlagen für eine digitale Notker-Edition

Als Vorarbeit zu einer kommentierten digitalen Ausgabe von Notkers des Deutschen De interpretatione-Bearbeitung wurden die technischen Voraussetzungen für die TEI/XML-Kodierung geschaffen. Dies umfaßt neben der Erstellung einem vorläufigen XML-Schema die Selektion und Modifikation geeigneter Software zur Eingabe, Kontrolle, Verwaltung und Ausgabe der Datenstruktur.

Zur Notkerforschung

Die ersten uns überlieferten Aristoteles-Kommentare des lateinisch-abendländischen Mittelalters sind erstaunlicherweise in der Volkssprache Althochdeutsch verfaßt: Notkers des Deutschen kommentierende Übersetzungen der Kategorien und von De interpretatione. Die Volkssprachlichkeit einerseits wie die starke Quellenabhängigkeit andererseits haben Notkers Bearbeitungen zu einem Gegenstand vornehmlich des sprachwissenschaftlichen Zweigs der germanistischen Mediävistik gemacht. Dabei verdienen sie aufgrund ihrer Inhalte durchaus interdisziplinäre Beachtung; zu nennen wäre z.B. die Satzsemantik aus linguistischer wie aus sprachphilosophischer Sicht. Die neue Ausgabe wird es sich zur Aufgabe machen, Notker für interdisziplinäre Ansätze zu erschließen und gleichzeitig - durch Anwendung elektronischer Verfahren - das sprachwissenschaftliche Arbeiten zu unterstützen.

Die besondere Struktur der Texte Notkers

Kennzeichnend für Notkers Bearbeitungen ist ein komplexes Ineinander von Aristotelischem Text (in der lateinischen Übersetzung des Boethius), Kontextglossen, Umarbeitungen und althochdeutschen Übersetzungen des Grundtexts sowie unterschiedlich selbständigen Kommentarpassagen Notkers. Aus der Differenzierung der einzelnen Klassen von Textelementen und der Analyse ihrer Zusammensetzung zu einem Ganzen läßt sich ein Modell für die gesamte Textstruktur erstellen. Vorarbeiten wurden in der Dissertation von Harald Saller geleistet.

Textstruktur und Kodierung

Indem man dieses Modell mittels einer Textauszeichnungssprache wie XML kodiert, erhält man eine DTD (Document Type Definition). Mit der DTD wird die Textstruktur der elektronischen Datenverarbeitung zugänglich; ein geeignetes Computerprogramm "weiß" dann, wie der Text aufgebaut ist, d.h. welche Textelemente es gibt und wie diese sich zueinander verhalten können bzw.dürfen. An dieses Modell muß sich auch derjenige halten, der den Text kodiert, damit ein gültiges Dokument entsteht.

Wissenschaft und Kommunikationstechnik

Das Notker-Projekt soll so weit wie möglich mit freier Software (genauer: Open Source) arbeiten. Das Open Source-Prinzip ist mit den Grundsätzen wissenschaftlicher Zusammenarbeit kompatibel: Sämtliche Arbeitsergebnisse stehen frei zur Verfügung, und es herrscht die größtmögliche Transparenz bei ihrer Erarbeitung. Auf diese Weise können Kommunikationsstrukturen der Wissenschaft möglichst unabhängig vom Treiben des Marktes funktionieren. Dokumente blieben dann zeit- raum- und plattformübergreifend kommunizierbar.

Transparenz und Dokumentation

Es ist geplant, sowohl die hier skizzierte vorbereitende Phase als auch die Arbeit im Projekt so zu dokumentieren, daß künftige wie auch parallele Vorhaben von den Erfahrungen und (Zwischen-)ergebnissen profitieren können. Der Open Source-Gedanke soll somit nicht nur auf den im engeren Sinne technischen Bereich beschränkt bleiben. Letztendlich entspricht dies auch der Charakteristik Notkers, hat doch dessen stetiges und offenbar erfolgreiches Bemühen um Transparenz seinen Schüler Ekkehart IV. dazu veranlaßt, ihm den Beinamen apertus zu verleihen.

Demo

Eine Demo-Version findet sich unter
<http://www.textkritik.uni-muenchen.de/hsaller/notker>.
Laufende Projekte
(Stand: 29.07.2004)
Publikationen

Aufsätze

  • Volkssprachliche Überlieferungen zu Dietrich von Freiberg. In: Rûmolt (1996) <http://www.rumolt.com/freiberg.htm>
  • [zusammen mit Ernst Hellgardt] Notker digitalis. Kommentierung eines Kommentars im Medium Hypertext. In: Schrift - Text - Edition. Hans Walter Gabler zum 65. Geburtstag. Hg. von Christiane Henkes-Zin, Walter Hettche, Gabriele Radecke und Elke Senne. Tübingen: Niemeyer 2003, 313-329.
  • Text, Apparat und Meta-Kommentar - Möglichkeiten einer integrativen Notker-Edition. Im Druck in: Mediaevistik und neue Medien, hg. v. Ingrid Bennewitz, Klaus van Eickels und Ruth Weichselbaumer. Ostfildern 2004, 81-90.
  • Zur neuen Notker-Edition. In: Volkssprachig-lateinische Mischtexte und Textensembles in der althochdeutschen, altsächsischen und altenglischen Überlieferung. In: Mediävistisches Kolloquium des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg am 16. und 17. November 2001. Hg. von Rolf Bergmann. Heidelberg 2003, 283-195.
  • Trägt der Ring von Paußnitz eine mittelhochdeutsche Inschrift? In: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte, Bd. 87 (2003), 199-123.
  • Zugriff auf Wissen, Zugang zum Sinn. Anmerkungen zu Texten, Kommentaren und semantischen Netzen. In: Internet und digitale Medien in der Romanistik: Theorie - Ästhetik - Praxis (=PhiN-Beiheft 2/2004) <http://www.fu-berlin.de/phin/beiheft2/b2t10.htm>.
  • HNML - HyperNietzsche Markup Language. In: Jahrbuch für Computerphilologie 5 (2003), 185-192 sowie: <http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jg03/saller.html>
  • [mit Matteo d'Alfonso] Kodierung und Darstellung von Schreibschichten in der elektronischen Edition des Druckmanuskripts zu Der Wanderer und sein Schatten. In: Literatur und Literaturwissenschaften auf dem Weg zu den digitalen Medien - Eine Standortbestimmung. Hg. v. Michael Stolz. (Erscheint Ende 2004 im Verlag gisi+loop <http://www.gisi-loop.com>)
  • HyperNietzsche und Nietzsche-Bibliothek. In: Michael Knoche, Justus H. Ulbricht, Jürgen Weber (Hg): Zur unterirdischen Wirkung von Dynamit. Wiesbaden 2006, S. 83-92.

Herausgeberschaft

  • [Zusammen mit Christiane Henkes-Zin und Thomas Richter] Text und Autor. Beiträge aus dem Venedig-Symposium 1998 des Graduiertenkollegs "Textkritik" München. Herausgegeben von Christiane Henkes und Harald Saller mit Thomas Richter. Tübingen 2000 (Beihefte zu editio; Bd. 15).

Lexikonartikel

  • Artikel "Segen" in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Begründet von Johannes Hoops. Hauptherausgeber: Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer. Berlin/New York. Band 28, 102-105.

Monographie

  • Ein neues Editionskonzept für die Schriften Notkers des Deutschen anhand von De interpretatione. Frankfurt am Main u.a. 2003.
    Notkers zweisprachige Bearbeitungen von lateinischen Schultexten sind in mehrfacher Hinsicht herausragend. Im Gegensatz zu sprachwissenschaftlichen Fragen kamen wissenschafts- und kulturgeschichtliche, philosophie- und geistesgeschichtliche Aspekte bisher kaum ins Blickfeld. Die vorliegende Arbeit versucht mit editorischen Mitteln, Notkers Texte interdisziplinär zu vermitteln. Ein neuartiges, strukturorientiertes Layout veranschaulicht den komplexen Aufbau des Textes und erleichtert das Textverständnis. Zugleich wird eine Vorstellung vom - mündlichen - Unterricht in einer Klosterschule vermittelt. Eine Übersetzung sowie ein Kommentar dienen der weitergehenden Texterschließung. Das skizzierte Schema der Texterschließung ist auch als Grundlage für Editionen der anderen Notkertexte gedacht.

Rezensionen

  • Notker der Deutsche von St. Gallen: Die Hochzeit der Philologie und des Merkur. De nuptiis Philologiae et Mercurii von Martianus Capella. Diplomatischer Textabdruck, Konkordanzen und Wortlisten nach dem Codex Sangallensis 872. Herausgegeben von Evelyn Scherabon Firchow unter Mitarbeit von Richard Hoskiss und Rick Treece. 2 Bde., Hildesheim, Zürich, New York 1999. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 103/4 (2001), 450-454.
  • Roger Gaberell: Der Psalter Notkers III. von St. Gallen und seine Textualität. St. Gallen 2000. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 132/4 (2003), 507-510.
  • Rudolf Schützeichel und Birgit Meineke (Hg.): Die älteste Überlieferung von Willirams Kommentar des Hohen Liedes. Edition, Übersetzung, Glossar. Göttingen 2001. Im Druck in: Zeitschrift für deutsches Altertum 2003.
  • Die Eigendynamik des menschlichen Gedächtnisses in der Heldendichtung. (Rezension über: Harald Haferland: Mündlichkeit, Gedächtnis und Medialität. Heldendichtung im deutschen Mittelalter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004.) In: IASLonline [11.04.2006] URL: <http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Saller3525208243_1214.html>

Tagungsberichte

  • [Zusammen mit Thorsten Burkard, Stephan Kammer und Cristina Urchueguía] Symposium "Text und Autor", Venedig, 27. Juli bis 1. August 1998. In: editio 13 (1999), 227-233.
  • [Zusammen mit Christiane Henkes] Entstehung und Typen mittelalterlicher Lyrikhandschriften, Graz, 13.-17. Oktober 1999. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 119 (2000), S. 436-439.
  • [Zusammen mit Mike W. Malm] Autor, Autorisation, Authentizität. Eine internationale Arbeitstagung an der RWTH Aachen, 20. 23. Februar 2002. Im Druck in: Zeitschrift für deutsche Philologie 122 (2003), 137-150.
 
Kontakt


Harald Saller

Privat:
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81371München
Homepage: www.haraldsaller.de
E-mail: haraldsalleronlinehome.de