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Die besondere Nähe zur nachfolgend zitierten Primärquelle, den Boethianischen Dialogen über die Isagoge (Bvp) besteht darin, daß der Ausdruck béidero syllogismorum geméina regula (14f.) in uno syllogismi ordine vorgeprägt zu sein scheint:

Aristotiles enim quoniam dialecticæ atque apodicticæ disciplinæ uolebat posteris ordinem scientiamque contradere . uidit apodicticam . dialecticamque uim . uno syllogismi ordine contineri. Scribit itaque primos resolutorios . quos greci analiticos uocant . qui legendi essent . antequam aliquid dialecticæ . uel apodicticæ artis attingeret. [hier folgt das zuletzt zitierte, der folgend zitierte Satz schließt sich unmittelbar an] Apodixen . in secundis resolutoriis ordinauit.
(NL 112f.; Migne 64 0013C-D)

Da Aristoteles nämlich die Wissenschaft und den Aufbau der dialektischen sowie der apodiktischen Disziplin den Nachfolgenden übergeben wollte, sah er, daß das Apodiktische und das Dialektische in der einen Gesetzmäßigkeit des Syllogismus befaßt sind. Er schreibt daher die "Ersten Auflösungen", die die Griechen Analytiken nennen, die man lesen muß, bevor man irgendetwas von der dialektischen oder apodiktischen Kunst berührt. [...] Die Apodiktik faßt er in den "Zweiten Auflösungen" ab.

Für die Behauptung, Aristoteles gebe in den Ersten Analytiken der Regel, die allen Syllogismen gemeinsam ist, den Namen 'Syllogistik', konnte keine hinreichend genau entsprechende Quelle gefunden werden. Es ist aber durchaus denkbar, daß Notker dies aus dem folgenden Satz erschlossen hat, der zwar in erster Linie dazu dient, Inhalt und Funktion der Isagoge darzustellen, dabei aber den Ausdruck syllogistica verwendet (der Satz schließt sich unmittelbar an das zuvor zitierte an):

Sic igitur cum a nte apodicticam dialecticamque rem syllogistica praelegantur, ante syllogisticam in propositionibus primus labor sit, ante propositiones in categoriis pauca desudent, ante categorias in isagogis plurimum laborent, quae de generibus, speciebus, differentiis, propriis, accidentibusque censentur, ordo est de his ipsis rebus pauca praelibare.
(Migne 64 0014D-C)

So ist es also, indem vor der apodiktischen und dialektischen Thematik die syllogistischen (Probleme) gelesen werden, vor der Syllogistik zuerst Arbeit an den Aussagesätzen anfällt, man vor den Aussagesätzen ein wenig schwitzt an den Kategorien, vor den Kategorien sich am meisten mit der Isagoge abmüht, die von Genus, Spezies, Differenz, Proprium und Akzidens Rechenschaft ablegen, an der Reihe, von diesen Dingen selbst ein wenig vorzukosten.

Es werden also Apodiktik, Dialektik und syllogistica (letztere einmal im Plural, einmal im Singular, was das Wort umso mehr als festen Begriff erscheinen läßt) gleichberechtigt nebeneinandergestellt, woraus man, zusammen mit dem zuvor angesprochenen Syllogismus als Gemeinsamkeit zwischen Apodiktik und Dialektik, durchaus kombinieren kann, Aristoteles habe diese Technik des Schließens als eigenes Gebiet angesehen und ihr den Namen Syllogistik gegeben. Daß er dies in der Ersten Analytik tat, dürfte Notker aus den zuvor zitierten Angaben bei Boethius' (vgl. Scribit - ordinauit) gefolgert haben. Zur Auskunft über die Thematik der Topik (ze iúngest ... dialecticam) vgl. den zu Abschnitt 2 der Praefatiuncula zitierten Textausschnitt aus Boethius' Explanatio.

Die Zusammenfassung der partes (Einzelgebiete) unter den Oberbegriff logica am Ende des Abschnitts bezieht sich, wenn man die logica-Aufteilung in De partibus logicae zugrunde legt, auf alle zuvor aufgezählten Teilgebiete und die jeweils dazugehörigen Schriften. Die dortige Auflistung der partes logicae fügt freilich noch die Isagoge hinzu, die in der Praefatiuncula zu De interpretatione nicht erwähnt wird (vgl. Nl S. 188, 15-17.) Ein Vorbild, d.h. eine analoge Aufteilung der logica, ist wieder in Boethius' erstem Dialog zur Victorinischen Übersetzung der Isagoge zu finden:

Quoniam categoriae ad propositiones aptantur, syllogismi de propositionibus componuntur, apodictici vero vel dialectici syllogismi in logicae artis disciplina vertuntur, constat quoque categorias quae ad propositiones syllogismosque pertinent logicae scientiae esse connexas.
(Migne 64, 0014D; Interpunktion und Satzgrenzen geändert)

Da ja die Kategorien auf die Aussagesätze hin ausgerichtet sind, die Syllogismen aus Aussagesätzen zusammengesetzt werden, die apodiktischen sowie dialektischen Syllogismen aber zur Disziplin der logischen Kunst gehören, steht fest, daß auch die Kategorien, die zu den Aussagesätzen und den Syllogismen führen, mit der logischen Wissenschaft verknüpft sind.