Silke Schlichtmann
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Postdoc-Projekt

Sophie von Grotthuß und Marianne von Eybenberg. Texte und Korrespondenzen mit Johann Wolfgang von Goethe und anderen Freunden (Gemeinschaftsprojekt mit Barbara Hahn, Princeton University)

In zwei Kontexten vor allem wurden die Namen der beiden jüdischen, später zum Christentum konvertierten Berliner Bankierstöchter und Schwestern Sophie von Grotthuß (1763-1828, geb. Sara Meyer, verw. Wulf) und Marianne von Eybenberg (1770-1812, geb. Meyer) überliefert: Beide waren mit Johann Wolfgang von Goethe und Rahel Levin Varnhagen befreundet. Insbesondere die Freundschaft mit Goethe garantierte den Schwestern einen Platz in der Geschichte. Allerdings wurden ihre Korrespondenzen mit dem Dichter bisher nur auszugsweise gedruckt; damit geht eine überhaupt sehr selektive Wahrnehmung dieser beiden Frauen (Klischee 'schöne Jüdin') in der Forschung einher. Unsere Edition strebt u. a. eine Revision dieses Bildes an.

Sie umfaßt die Herausgabe sämtlicher überlieferter Schriften und Korrespondenzen der Meyer-Schwestern (mit Ausnahme des Briefwechsels mit Rahel Levin Varnhagen, da dieser bereits in der 'Edition Rahel Levin Varnhagen' erscheinen wird). Damit soll der kulturhistorischen Forschung ein äußerst umfangreiches und komplexes Quellenkorpus aus einer zentralen Umbruchphase der europäischen Geschichte zur Verfügung gestellt werden, das vor allem als Grundlage für die Rekonstruktion einer Geschichte weiblich-jüdischer Akkulturation von herausragender Bedeutung ist.

Neben den Korrespondenzen mit Goethe beinhaltet das bisher nahezu vollständig unveröffentlichte Material die Korrespondenz der Schwestern untereinander, ihre Schreiben an den schwedischen Diplomaten Karl Gustav von Brinckmann, den Ehebriefwechsel Sophie von Grotthuß', ihre literarischen Schriften und eine Vielzahl von an die beiden Schwestern gerichteten Briefen, die einem äußerst weit verzweigten, verschiedene Kreise, Kulturen und Schichten umfassenden Korrespondentennetz entstammen. In einem gesonderten Kapitel werden wir zudem eine Akte veröffentlichen, die einen umfangreichen Bestand zur Taufe der beiden Schwestern, ihrer Rückkehr zum Judentum und nochmaligen Konversion, der Eheschließung von Grotthuß' und der Intervention zweier preußischer Könige in diese Vorgänge enthält.

Seine besondere Bedeutung als Basis für die Erforschung jüdischer Akkulturationsverläufe gewinnt das gesamte Textkorpus vor allem durch die Breite und Offenheit, mit der hier Möglichkeiten wie Grenzen der Assimilation von Juden respektive Jüdinnen verhandelt werden. Zudem zeichnet es sich durch die Vielfalt der Perspektiven aus, die es auf die Kodierungen von Ausschluß und Integration im Prozeß weiblich-jüdischer Akkulturation wirft.

Die Herausgabe der Texte ist als eine Archivedition konzipiert: Das heißt, das Material wird diplomatisch nach den Handschriften gedruckt und mit einem ausführlichen, textkritische und erläuternde Anmerkungen integrierenden Kommentar versehen. In klarer Abgrenzung von Text- und Kommentarteil wird zudem in Form zweier Aufsätze ein Lektüreversuch des Schreibens der beiden Schwestern wie des gesamten vorgelegten Materials und damit auch der Versuch einer Situierungsgeschichte des durch die Edition erzeugten Textgefüges unternommen. Dieses bewußte Überschreiten der Grenze einer reinen Herausgabe rechtfertigt sich durch eine deutliche Markierung der Unterschiedlichkeit der Textsorten Edition und Interpretation und ist konzeptionell dadurch begründet, daß Marianne von Eybenberg und Sophie von Grotthuß bisher von der Forschung kaum jemals wirklich berücksichtigt wurden; die Zugänglichkeit zu ihrem schwer lesbaren Schreiben, das unsere Ausgabe präsentiert, soll auf diese Weise erhöht werden.

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