Dissertation deutsch
Stand: 04.06.2004

Die Oktavhefte von Franz Kafka als Beispiel für die Beziehung zwischen Edition und Interpretation 

Im Winter 1916/17 hat Franz Kafka Oktavhefte für sein Schreiben verwendet: In einer Art Schreibrausch hat er die kleinformatigen Hefte an seinem "exterritorialen Schreibort" in der Alchimistengasse auf dem Prager Hradschin randlos gefüllt. Die Oktavhefte stehen in einem inneren Zusammenhang: weil sie eine der produktivsten Schaffensphasen Kafkas darstellen, weil sie in dieser Phase ausschließlicher Ort für Niederschriften aller Art waren, weil sie auf struktureller und inhaltlicher Ebene ein Textgeflecht bilden. Gegenstand des vorliegenden Buches sind nicht die bekannten zu Lebzeiten oder posthum veröffentlichten Texte, sondern die handschriftlichen Manuskripte - die Oktavhefte als Schreibraum. Die Spuren eines komplexen Schreibprozesses legen Zeugnis ab vom Ringen um den Anfang, das Ende und den Zusammenhang, von der Suche nach Strategien, um zu veröffentlichungswürdigen Texten zu gelangen, vom Umschreiben immer wieder gleicher Themen, die sich im nachhinein zu Kohärenzmustern zusammenfügen lassen: Genau wie der "Bau der Chinesischen Mauer" ist dieser Schreibprozess ein "System des Teilbaues".

Im letzten Teil des Buches werden verschiedene Leserperspektiven und Editionskonzepte miteinander verglichen: der Blick des Autors als erstem Leser, die Ambition Max Brods als erstem Editor und "Geburtshelfer" des Autors und schließlich die unterschiedlichen Ansätze der Kritischen Kafka-Ausgabe und der Frankfurter Kafka-Ausgabe. Eine für den Leser wünschenswerte und den Texten angemessene Ausgabe, in der die verschiedenen Perspektiven auf Manuskripte miteinander verknüpft sind, steht noch aus.

 
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Dr. phil. Annette Steinich

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